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Anni Bergman ist gestorben

Etwas verspätet erreichte uns die Nachricht, dass Anni Bergman am 2. Oktober 2021 gestorben ist. Geboren im Jahre 1919 ist Anni Bergman 102 Jahre alt geworden. Wir möchten ihrer hier gedenken.

Anni Bergman, geborene Rink, war Sportlerin, Pianistin, eminente Psychoanalytikerin und Autorin. Das alles vereinte sie in ihrer Person, bis ins hohe Alter. Ihre Kindheit und Jugendjahre verbrachte sie in Wien als Tochter aus besten Verhältnissen. Früh verlor sie die Mutter, Martha geb. Haas (1880-1930) und im Alter von 17 Jahren auch den Vater, Ernst (1868-1936). Anni besuchte von 1929 bis 1938 in Wien das erste Gymnasium für Mädchen in der Rahlgasse 4. Sie hatte den Wunsch, aus den geborgenen, aber auch einengenden Wiener Verhältnissen herauszukommen und wanderte 1939 in die USA, das Land der Abenteuer, aus. Dort arbeitete sie zunächst als Au Pair und studierte Musik. Den Bachelor of Arts erwarb sie 1943.

In LA lernte sie auch ihren späteren Ehemann Peter (Mosche) Bergmann kennen. Er war Schriftsteller und Verleger. Das Paar ging 1943 nach New York, wo sie heirateten. Zwei Söhne, Kostia und Tobi, gingen aus der Ehe hervor. Anni arbeitete als Musiklehrerin und ließ sich zur Kinderanalytikerin ausbilden. Sie trat dem Forschungs- und Praxisverband von Margaret Mahler bei. Bekannt wurde sie in diesem Zusammenhang durch ihre Mitautorenschaft in dem im Original 1975 erschienenen Buch Die psychische Geburt des Menschen. Symbiose und Individuation (1978 bei S. Fischer).

Regelmäßig führte sie ihr Weg nach Europa, zum Wandern, Bergsteigen, zum Austausch mit Kollegen. So zum Beispiel 1996 zur IPA Sommerschule nach London (Fonagy, UCL) zu der u. a. auch Otto Kernberg angereist war. Dort lernte ich Anni kennen, schätzen und lieben. Was lag näher, als sie sogleich als Vortragende nach Bremen einzuladen. Also bitte ich, dass sie einen kleinen Abstecher über Bremen macht. Das macht sie gern, nach ihrem Urlaub in der Schweiz. Am 2. Mai ist es dann soweit, sie hält im Rahmen meiner jährlichen Vortragsserie am DIALOG-Zentrum für angewandte Psychoanalyse einen Vortrag, basierend auf einer ihrer umfangreichen Studien, Titel: ›Autonomiewünsche und Abhängigkeitsbedürfnisse. Die Bedeutung des mütterlichen Objekts – Ergebnisse einer Langzeit-Untersuchung‹ (Psychosozial, 22. Jg., 1999, 17-31). Als Grundlage dienten ihr sowohl die Erfahrungen und Ergebnisse aus dieser über 35 Jahre durchgeführten empirischen Untersuchung von Mutter-Kind-Paaren, andererseits ihr Interesse z. B. an Allan Schores neurobiologischen Studien. Das heißt, sie war eine der frühen Vertreterinnen einer psychoanalytischen und neuropsychologischen Forschung. Was für eine wunderbare Frau!

Ähnlich wie in London bei der Summer School gab es bei meiner Vortragsreihe immer auch einen geselligen Teil. Aus diesem Bereich erinnere ich mich noch an einen schönen Besuch im legendären ›Café im Rilke-Haus‹ im Künstlerdorf Fischerhude. Außen schönste Natur, innen beste Bewirtung mit Kuchen und vor allem: Überall hängen die Originalgemälde der Fischerhuder Künstler. Auch das konnte Anni genießen. Nun ist sie nicht mehr bei uns, aber wir können den Dialog mit ihr fortsetzen: als inneren, ›ununterbrochenen Dialog‹, wie das Jacques Derrida in Bezug auf Hans-Georg Gadamer praktiziert hat, der ebenfalls 102 Jahre alt geworden ist.

Ellen Reinke, 24.10.2021

 

tl_files/fm/nachrichten/Sonstiges/Foto Anni Bergmann.pngAnni und ein kleiner Freud (Bild von Ann Steiner)

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